Die Weichen für Übergewicht und Diabetes könnten sich nach aktuellen Erkenntnissen schon im Mutterleib stellen. Eine Forschergruppe um Professor Hubert Preißl und Professor Andreas Fritsche vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD), dem Universitätsklinikum Tübingen und dem Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen wies erstmals in ihrer kürzlich veröffentlichten Studie nach, dass Schwangerschaftsdiabetes die fetale Hirnreaktion nach einer Mahlzeit der Mutter verlangsamt.
Möglicherweise liegt bei diesen Kindern bereits im Mutterleib eine Insulinresistenz des Gehirns vor, was die Wahrscheinlichkeit erhöhen könnte, dass das Kind später im Leben Übergewicht und Typ-2-Diabetes entwickelt. Die Studie unterstreicht damit die Bedeutung einer frühzeitigen Prävention bei Frauen mit Kinderwunsch und erhöhtem Risiko für Schwangerschaftsdiabetes beziehungsweise schwangeren Frauen mit entsprechendem Risikoprofil.
Vierzig schwangere Frauen aus der Diabetesambulanz und der Frauenklinik des Universitätsklinikums Tübingen nahmen an der Studie teil, zwölf von ihnen mit Gestationsdiabetes. Die Studie beinhaltete Untersuchungen zu jeweils drei Messzeitpunkten: Zu Beginn erfolgte eine Nüchternmessung. Anschließend nahmen die Frauen 75 Gramm einer Zuckerlösung zu sich. Die zweite Untersuchung erfolgte 60 Minuten nach dieser Glukoseaufnahme, die dritte zwei Stunden nach Glukoseaufnahme. Zu jedem Messzeitpunkt wurde mittels fetaler Magnetoenzephalographie die fetale Hirnreaktion auf einen wiederholt präsentierten Ton ermittelt und die Reaktionszeit des kindlichen Gehirns bestimmt. Zusätzlich wurden bei der Mutter zu jedem Messzeitpunkt Zucker und Insulin im Blut berechnet.
Das Ergebnis: Eine Stunde nach Glukoseaufnahme fanden die Forscher eine signifikant langsamere fetale Hirnreaktion auf die Töne in der Gruppe der Frauen mit Gestationsdiabetes im Vergleich zur Kontrollgruppe mit den Frauen ohne Schwangerschaftsdiabetes. Zu den anderen beiden Messzeitpunkten zeigte sich dagegen kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen. Die zeitweilig verlangsamte Hirnreaktion bei den ungeborenen Kindern der Teilnehmerinnen mit Gestationsdiabetes war signifikant assoziiert mit erhöhten Zucker- und Insulinspiegeln der Mütter.
Die Autoren schließen daraus, dass der mütterliche Stoffwechsel die Hirnfunktion des Fetus direkt beeinflusst und ein Schwangerschaftsdiabetes möglicherweise bereits beim ungeborenen Kind eine Insulinresistenz im Gehirn induziert. Ihr Erklärungsansatz lautet: Bei den Kindern der gesunden Mütter kommt es nach der mütterlichen Einnahme der Glukoselösung zu einem Anstieg von Glukose und Insulin im Gehirn, was zu einer Aktivierung und Verbesserung der fetalen neuronalen Hirntätigkeit führt. Dieser Effekt tritt bei den ungeborenen Kindern der Mütter mit Schwangerschaftsdiabetes nicht auf. Die Forscher vermuten, dass diese Kinder durch eine permanente Hyperglykämie der Mutter bereits im Uterus eine verminderte Sensitivität auf Glukose und Insulin-Resistenz entwickeln.
Stimmt die Vermutung der Forscher, könnte dies einer Prägung des fetalen Stoffwechsels bereits im Uterus gleichkommen und die vermutete fetale Insulinresistenz im Gehirn das spätere Diabetes- und Übergewichtsrisiko des Kindes erhöhen. Der derzeitige Forschungsstand zur Bedeutung von Insulin im menschlichen Gehirn und den Auswirkungen einer dortigen Insulinresistenz wurde von der Arbeitsgruppe in einem Übersichtsartikel in der renommierten Fachzeitschrift Nature Reviews Endocrinology zusammengefasst.
Links zu den Fachpublikationen:
http://press.endocrine.org/doi/pdf/10.1210/jc.2015-2692
http://www.nature.com/nrendo/journal/vaop/ncurrent/full/nrendo.2015.173.html