Hallo liebe Gemeinde und Mit-Diabetesinhaber,
um mich zuerst einmal kurz vorzustellen: Mein Name ist Arne Reichelt, ich bin 19 Jahre alt und habe vorletztes Jahr mein Abitur halbwegs ordentlich mit einem Schnitt von 2,1 abgeschlossen. Dieses absolvierte ich an der Eliteschule des Wintersports in Oberwiesenthal, wo ich mich mittlerweile in meinem sechsten Trainingsjahr in der Leistungssportart Skilanglauf befinde. Seit meinem Wechsel in die 9. Klasse aus meiner Heimatstadt Dresden nach Oberwiesenthal gab es eine stetige Entwicklung meiner Leistung, die 2015 Platz 4 und 5 bei den Deutschen Meisterschaften im Jugendbereich bedeutete. Aufgrund dieses Resultats oder einem 25. Platz beim Continentalcup, der „2. Liga“ des Skilanglaufs nach dem Weltcup, wurde mir die Möglichkeit gegeben, nach Beendigung meiner Schulzeit diesen Sport sozusagen als Profi weiter zu betreiben. Dafür wurde mir ein Bundeswehrfördergruppenplatz zugesichert, um meine Wohnung, welche ich jetzt mit einem Trainingskollegen teile, zu finanzieren.
Das kurz zu meinem bisherigen Lebenslauf, nun aber dazu, warum ich hier überhaupt einen kleinen Bericht verfassen darf:
Während der Ruhephase nach der Saison merkte ich, dass ich einen kaum stillbaren Durst entwickelte, was bedeutete, dass mehrere Liter Wasser am Tag keine Seltenheit waren. Dazu kamen wirkliche Konzentrationsschwächen in der Schule hin zum Abitur. Obwohl das bei Jungs wahrscheinlich regelmäßig ist, war es bei mir doch wirklich schon erheblich merkbar. Jedoch dachte ich dabei nicht an irgendeine Krankheit, obwohl auch die zweite Hälfte der Wettkämpfe des Winters eher in die Hose ging, da die Muskeln immer relativ schnell während eines solchen verkrampften. Als ich über diese Dinge mal mit meiner Mutter sprach, gab sie mir den Tipp, einfach mal eher schlafen zu gehen. Irgendwie sinnvoll, aber am Ende doch nicht hilfreich, wie ich feststellen sollte.
Nachdem ich mich nun auch nach Ende der Saison in die im Mai 2015 beginnende neue reinschleppte, ging es mir mit dem lockeren Training zu Beginn auch erst mal wieder besser. Doch es sollte das letzte Ruhestück sein, bevor die heiße Phase eingeläutet wurde. Diese begann Anfang Juni, als ich nach dem ersten abgeschlossenen Trainingsblock für vier Tage nach Hause konnte und dort meine Oma traf, welche sagte, dass ich dünn geworden sei und nicht gut aussehe. Dies bewahrheitete sich am nächsten Tag beim Gang auf die Waage, wo mein Kampfgewicht von eigentlich schon eher schmalen 72 Kilo bei 1,86 cm Körpergröße auf 66 Kilo gefallen war. Das einzige Gute dabei war, dass ich zumindest noch alle Zahlen auf der Anzeige erkennen konnte, da es mir vorkam, als hätte ich schon einige Tage irgendwas im Auge.
Nach einer Nacht, wo nun erstmals aus dem Nichts Wadenkrämpfe auftraten, hatte ich einen ersten Termin bei der Bundeswehr in Dresden, wo ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinkommen wollte. Größte Schwierigkeit dabei: Ich konnte die Linienzahl der Straßenbahnen oder Busse nur noch sehen, als sie auch an der Haltestelle standen. Nachdem ich mit gefühlten 1,5 Metern Sehweite meinen ersten Bundeswehrtermin absolviert hatte, erzählte ich mein Leiden noch einmal zu Hause. Zum Glück beziehungsweise Unglück 😉 waren mal wieder meine Oma und Opa da, die ein Blutzuckermessgerät besitzen. So kam meine Mutter auf die Idee, vorsichtshalber mal zu messen. Das Ergebnis: einmal 19 mmol/l sowie etwas später 16 mmol/l. Ich, natürlich unahnend, war etwas überrascht, als mir erklärt wurde, dass dies Anzeichen von Diabetes sind. Bevor ich am nächsten Abend wieder nach Oberwiesenthal musste, kontrollierten wir noch einmal den Blutzucker und das Gerät zeigte nur ein „high“ – es war bis maximal 25 mmol/l ausgelegt.
Nach der kurzen Einführung durch im Nachhinein betrachtet typischste Anzeichen, fuhr mein Vater nach dem Training am nächsten Morgen, das nicht an eine Bestleistung grenzte, mit mir zum Arzt, da ich mich nur noch durch den Tag schleppte und zu kaum noch etwas ordentlich in der Lage war. Dort wurde nach einem Bericht meinerseits wiederum dem Blutzuckerspiegel gemessen, der hier, genauso wie etwas später im Krankenhaus in Annaberg-Buchholz, bei 25 bis 30 mmol/l lag, weshalb ich auch umgehend ins Krankenhaus sollte.
Somit begann für mich ein neuer Lebensabschnitt, da in den folgenden Tagen mein Diabetes mellitus Typ 1 eindeutig nachgewiesen wurde. An den ersten Tagen in neuer Obhut wurde erst einmal mein völlig am Boden liegender Elektrolyt-Haushalt normalisiert, welcher auch für das schlechte Sehen verantwortlich war, sowie eine Nichtbeschädigung meiner inneren Organe festgestellt. Auch konnte die Frage nach einer Fortsetzung meines Sports, der manchmal fast 27 aktive Wochenstunden umfasst, mit „JA“ beantwortet wurden. In diesem Sinne schon mal großen Dank an Frau Dr. Waller und Frau Dr. Rehmig. Mit der beginnenden Insulintherapie am nächsten Tag und den damit verbundenen Schulungen in einer Gruppe vom Altersschnitt „Ü70“, bekam ich auch meinen HbA1c Wert von 11,5 mmol/l gesagt. Mit den neu gesammelten Infos über Diabetes ergaben nun auch die letzten Monate mit den ganzen Schwierigkeiten einen Sinn.
Nach kurzem Durchatmen mit der erfolgten lebensveränderten Diagnose, ging es am 16. Juni 2015 nach Dresden ins Krankenhaus, da ich meine Familie auch ab und zu mal sehen wollte. Zwar war jetzt immer für Besuch gesorgt und meine Diabetesberaterin, lustigerweise mit dem gleichen Nachnamen wie ich behaftet (Reichelt), leistete beste Arbeit, jedoch erfuhr ich eine neue Art von Heißhunger, welcher 24 Stunden am Tag anhält. Dieses „Nicht-mehr-an-was-anderes-als-an-Essen-denken“, das sich auf die Neueinstellung des Insulins zurückführen lässt, besteht zwar Gott sei Dank jetzt nicht mehr, trotz dessen musste damals jeder Besuch meine Nahrungszufuhr weiter aufstocken.
Obwohl sich meine Oberärztin dagegenstellte, mich schon am 25. Juni zu entlassen, da ich erst kurz vorher gute Werte erreicht hatte, konnte ich das Krankenhaus auf Zuspruch meiner Diabetesberaterin hin verlassen, da am nächsten Tag der Abiball von uns Abiturienten anstand. Meinen Abiturschnitt bekam ich übrigens per SMS im Krankenhaus geschickt.
Nachdem nun wieder in „Freiheit“, holte mich am 26. Juni auch gleich meine erste Unterzuckerung ein, welche sich auf den Stress einer schnell noch zu bearbeitenden Abi-Rede zurückzuführen lässt. Außerdem lernte ich an diesem Abend auch sofort den praktischen Umgang mit Alkohol kennen, da ich herausbekommen konnte, dass ich kein Langzeitinsulin über Nacht bei Alkoholzufuhr benötige, sondern eher noch etwas Kleines dazu esse.
Die ersten Trainingswochen nach meiner Auszeit verliefen dann ohne große Vorkommnisse. So war der Einstieg natürlich erstmal gemäßigt und allein lief ich auch nicht, trotzdem mussten ein paar Kilometer gemacht werden. Dafür hatte ich immer etwas Süßes in Form von Riegeln und Gels dabei, um einzugreifen, falls eine Messung (am Anfang auch während des Trainings) eine Unterzuckerung zeigte oder ich diese ansatzweiße mit kurzem Zittern oder auf einmal schweren Muskeln merkte. Insgesamt konnte ich das Training relativ gut bewältigen, da auch mein Gewicht während der eher gemäßigten Schaffenszeit im Krankenhaus wieder auf 72 bis 73 Kilo gestiegen war.
Vom 22. Juli 2015 an ging es dann für knapp zwei Wochen in den Sommerurlaub nach Mallorca, wo ich das erste Mal merkte, wie extrem Sport auf den Insulinbedarf einwirkt. Während ich an einem normalen Trainingstag 18 Insulineinheiten bei circa 40 BE brauche, benötigte ich im Urlaub bei 25 BE genauso viel Insulineinheiten. Für mich zeigte dies nur einmal mehr, dass Sport wirklich das Beste ist, was man als Typ-1-Diabetiker machen kann. Außerdem erkannte auch meine Familie dadurch, wie gut ich weiterhin in Oberwiesenthal aufgehoben bin.
Das Ergebnis folgender Trainingswochen in Richtung Winter war dann der letzte Besuch bei meiner Diabetologin im September, wo sich ein HbA1c– Wert von 6,8 mmol/l herausstellte, mit welchem ich genauso wie sie hoch zufrieden war, wenn man bedenkt, dass erst vor ein paar Monaten die Diagnose Diabetes Einzug in mein Leben hielt.
Dieser Wert mit dem dazugehörigen Training – und das alles ohne große Unterzuckerungen -, das war alles auch nur mit Hilfe von Ulrike Thurm möglich, die meine Eltern nach wirklich langer Suche übers Internet mit Hilfe der Special Ones in Person von Melanie Schipfer fanden, und wir sogar noch einen Termin für den 10. Juli in Berlin bei ihr bekamen. Sie brachte mir in einem Gespräch jegliche Grundlagen im Umgang mit Sport als Diabetiker bei. Zum Großteil deswegen beherrsche ich es nun auch ganz gut, meinen Blutzuckerspiegel mit dem dazugehörigen Essen so zu regulieren, dass ich vor dem Training etwas höher bin, um nach dem Training mit einem Zielwert zwischen 5 bis 7 mmol/l herauszukommen.
Genauso wichtig ist es auch, bei anstrengenden Trainingseinheiten, die über den normalen Pulsbereich im Training hinaus gehen, immer ein – wenn auch nur leicht kohlenhydrathaltiges – Getränk dabei zu haben. So bestand ich nun schon Trainingslehrgänge in der Skihalle von Oberhof oder Wettkämpfe jeglicher Art, ohne auch nur die kleinste Einschränkung. Dies alles betreibe ich zurzeit noch nur mit Spritze und Teststreifen zum Messen des Blutzuckerspiegels, jedoch hoffe ich für die Wettkampfsaison im Winter ein CGM erringen zu können.
Einziger Wermutstropfen in einem letzten halben Jahr, das mich am Ende eigentlich nur stärker gemacht hat, ist, dass die Musterung für meine Bundeswehrstelle aufgrund des Diabetes nicht funktioniert hat, da man nicht wie in der normalen Sportfördergruppe eine Außnahmegenehmigung beantragen konnte. Da einen Platz zu bekommen, ist somit das Ziel des folgenden Winters, den ich ab jetzt mit meinem neuen Kumpanen, dem Diabetes, in Angriff nehmen werde.
In diesem Sinne, mit freundlichsten Grüßen und auf ein baldiges „Wiederlesen“, Euer Arne.
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