Steiner am Obst- und Gemüsestand. Steiner sinnierend über einer Tasse Kaffee. Steiner bei seinen täglichen Fitnessübungen im Park. Steiner auf seinem Fahrrad. Steiner mit seiner Insulinpumpe. Steiner als 150-Kilo-Koloss. Steiner – nun 45 Kilo leichter – mit nacktem Oberkörper. Als meisterlicher Selbstdarsteller präsentiert sich der Olympiasieger von 2008 im Gewichtheben (Superschwergewicht) in seinem Ratgeber „Das Steiner Prinzip – Vom Schwergewicht zum Wohlfühl-Ich“. Matthias Steiner, der im Verlauf eines guten Jahres 45 Kilo abspeckte, setzt auf die Macht der Bilder, die großen Raum in seinem Buch einnehmen. Besser gesagt: in seinem Fotoalbum, für das sich Steiner als „Privatmensch“ in vermeintlichen Alltagsposen ablichten ließ.
Als „Höhepunkte“ der perfekten Inszenierung entpuppen sich die Fotos auf Seite 77: Mit übergroßer Jeans und hautengem Oberteil – Kontrastprogramm muss schließlich sein – stellt sich Matthias Steiner der Kamera. „Ja, diese Hose war mal fast zu eng…“ Schön: erinnern diese Aufnahmen doch unweigerlich an die Werbeanzeigen für „Wundermittel“ gegen Übergewicht, die sich in so mancher Frauenzeitschrift finden lassen.
Apropos Übergewicht. Hauptanliegen des ehemaligen Leistungssportlers ist es, dem Leser (s)einen Weg aufzuzeigen, der zu einem gesunden Abnehmen führt. Ein ehrenwertes Unterfangen. Allerdings erfindet er das Rad nicht neu. Er dreht ein wenig daran, indem er bekannte Tatsachen durchaus unterhaltsam und kurzweilig verpackt. Regelmäßiges Kraft- und Ausdauertraining, viel Bewegung und ein bewusster Lebensstil mit ausgewogener Ernährung lautet sein Erfolgsrezept. Vom Hungern hält das frühere Schwergewicht genauso wenig wie von Diäten. Gut so! Richtig gelungen, wenn auch nicht neu, ist die Auflistung des Zucker- und Fettgehalts von Fertiggerichten und Fastfood-Produkten, die symbolische – zum Teil erschreckende – Aussagekraft durch die dargestellten Würfelzuckerangaben erhält.
Leider verliert sich der selbstverliebte „Chef-Motivator“ in seinem recht einfach gestrickten Werk zu häufig in Banalitäten. Steiner wird nicht müde, zu erzählen, dass er seinen Kaffee schwarz genießt, um Kalorien zu sparen und um herauszuschmecken, ob das Heißgetränk von guter Qualität ist. Plump ist auch sein Tipp, vor Freunden, die zum Essen geladen haben, nicht zuzugeben, dass man gerade am Abnehmen ist. Die Ausreden „Alter, das ist mein dritter Teller“ oder „Kann ja nicht jedes Mal warten, bis der Gastgeber merkt, dass mein Glas leer ist“ sprechen für sich. Ebenfalls etwas platt formuliert ist Steiners persönlicher Motivationsspruch „Aufstehen, Mund abwischen, weitermachen“, den er denjenigen wärmstens ans Herz legt, die sich noch kein eigenes Abnehm-Motto auserkoren haben.
Wenn der Typ-1-Diabetiker dann auf seine Stoffwechselerkrankung zu sprechen kommt, wird es gelegentlich grotesk. Matthias Steiner greift, wie er erläutert, zum Schokokeks, wenn er von einer Unterzuckerung heimgesucht wird. Kleine Anmerkung am Rande: Wären nicht schnell ins Blut gehende Hypo-Helfer, wie Traubensaft, Traubenzucker oder Gummibärchen, geeigneter? Um die Political Correctness gegenüber seinen Liebsten zu wahren, hat der Familienvater seinem ältesten Sohn selbstverständlich ausgiebig erklärt, dass der Papa sich in bestimmten Notfallsituationen einen „Unterzucker-Keks“ einverleiben muss. Denn: ansonsten ernähren sich die Steiners vorbildlich. Zwischendurch gibt es bei der „Bilderbuchfamilie“ Paprikaschote, Karotte, Apfel, Birne, Banane, Pfirsich, Mandarine oder Naturjoghurt. Als Getränke dominieren Wasser, ungesüßter Tee und – für die Erwachsenen in Maßen – Kaffee pur.
Als hochinteressant stellt sich Steiners „Extratipp für Typ-1-Diabetiker – wie die Pumpe beim Abnehmen helfen kann“ heraus: Hier erfährt der Leser ganz „nebenbei“, dass der gebürtige Wiener des Nachts seine Insulinpumpe vorzugsweise in der Innenseite seiner lockeren Unterhose befestigt und dass er, wenn er und seine Gattin Inge „Spaß haben“ wollen, das technische Gerät abkoppelt. Soso, Herr Steiner… Langjährige Typ-1-Diabetiker hätten sicherlich ein bisschen mehr Tiefgang erwartet.
Steiner sells. „Das Steiner Prinzip“ erweist sich als massentauglicher Ratgeber. Schreibstil und Wortwahl sind einfach und schlicht gehalten. Um jegliche Hemmschwellen abzubauen, begibt sich der Autor auf Augenhöhe seiner Leser, suggeriert emotionale Nähe. Man ist auf Du und Du. Den Manni oder den Didi von nebenan wird’s freuen… Ob mit der Hilfe des „Steiner Prinzips“, das zugegebenermaßen das Wesentliche auf den Punkt bringt, um erfolgreich und langfristig abzunehmen, allen Otto Normalverbrauchern der Wandel „vom Schwergewicht zum Wohlfühl-Ich“ glückt, scheint fraglich. Denn als ehemaliger Leistungssportler hat Matthias Steiner in puncto Disziplin und körperlicher Ausgangsbasis mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Vorteile und Möglichkeiten zur Verfügung.
Übrigens: Wer mehr über den Ex-Gewichtheber Matthias Steiner erfahren möchte, sollte sich folgenden Fernsehbeitrag anschauen. Am 16. Oktober 2015 stand der „stärkste Mann der Welt“ in der NDR Talk Show Moderatorin Barbara Schöneberger Rede und Antwort.
Na gut. Ein bißchen lästern kann man ja. Habe das Buch gelesen und fand es gut und kurzweilig. Es ist nicht das medizinische Fachbuch. Sollte es auch nicht sein. Es ist ein Buch, das unterhalten soll. Mehr nicht. Und das tut es.