Eine schwere Blutzuckerentgleisung kann traumatisch sein, auch für Außenstehende, die erste Hilfe leisten. Damit Angehörige wissen, was im Notfall zu tun ist, sollten sie geschult sein. Insulin und Medikamente wie Sulfonylharnstoffe bei Typ-2-Diabetes haben als „Nebenwirkung“ das Risiko einer Unterzuckerung. Niedrige Blutzuckerwerte machen sich normalerweise rechtzeitig durch typische Symptome wie Zittern oder Schwitzen bemerkbar. Dann hilft der Griff zum Traubenzucker, und der Blutzucker ist meist rasch wieder im Lot. Wenn Unterzuckerungen allerdings einen schweren Verlauf nehmen, kommt es darauf an, dass man schnelle Hilfe bekommt. Meist ist der Partner in dieser Situation gefordert, manchmal auch die Kinder, Freunde oder Kollegen. Das geht nicht ohne eine gute Vorbereitung. Diese ist leider nicht selbstverständlich, stellt Dr. Veronika Hollenrieder in ihrer Praxis fest.
Moderne Diabetestechnik hilft Patienten mit einer Insulinbehandlung dabei, auf niedrige Blutzuckerwerte rechtzeitig zu reagieren. Trotzdem erlebe ich in der Praxis immer wieder, dass Patienten oder Angehörige über Notfallsituationen mit schweren Unterzuckerungen berichten, meist weil Insuline (Basal und Bolus) verwechselt oder Insulin versehentlich doppelt gespritzt wurde. Auch nach Alkoholkonsum oder Erbrechen bei Magen-Darm-Infektionen kann es zu einer schweren Unterzuckerung kommen. Zudem sind Hypo-Wahrnehmungsstörungen ein großes Problem, wenn Patienten die Anzeichen niedriger Blutzuckerwerte gar nicht mehr spüren, sondern schlimmstenfalls ohne Vorwarnung bewusstlos werden.
Schulung gibt Sicherheit
Meist sind es dann Angehörige, die im Notfall zur Seite stehen. Für sie gilt es, in dieser Situation einen kühlen Kopf zu bewahren und das Richtige zu tun – maximaler Stress, wie man sich vorstellen kann. Leider sehe ich selten Angehörige in der Sprechstunde, auch weil Patienten der Meinung sind: „Frau Doktor, das ist doch meine Angelegenheit, mich um meinen Diabetes zu kümmern“. Dabei wäre es so wichtig, den Partner oder die Kinder über die Zusammenhänge der Diabetestherapie zu informieren und vorzubereiten, was im Notfall zu tun ist. Die Partnerin/der Partner kann viel dazu beitragen, dass eine schwere Unterzuckerung gar nicht erst entsteht. Denn er/sie kennt den Partner genau und ist sensibel für Veränderungen in der Körpersprache, die auf niedrige Blutzuckerwerte hindeuten – wie eine gestörte Grob- oder Feinmotorik, mangelnde Konzentration bis zur Verwirrung und leider auch manchmal Aggressivität.
Was können Angehörige tun?
Zum einen können sich Angehörige gemeinsam mit dem Partner auf die Notfallsituation vorbereiten. Dafür bieten Schulungen, zu denen auch Angehörige dazukommen können, eigentlich den besten Rahmen. Während der Corona-Pandemie sind diese Schulungen leider nicht möglich und müssen durch Einzelgespräche bzw. Videosprechstunden und Informationsmaterial ersetzt werden. Den Partner beim Arztbesuch einmal begleiten und in der Sprechstunde Fragen stellen, kann ebenfalls hilfreich sein. Angehörige sollten auch wissen, wo das Blutzuckermessgerät bzw. das rtCGM-Lesegerät zu finden ist und wie diese Diabetestechnik funktioniert.
Für den Notfall muss eine Checkliste bzw. ein Notfallausweis bereit liegen. Kommt es zu einer schweren Unterzuckerung mit Bewusstlosigkeit, sollten Angehörige (gilt auch für Kollegen oder Freunde) den Notarzt verständigen. Ärzte und Rettungssanitäter benötigen Angaben zum zuletzt gespritzten Insulin. Auch die Information, ob Alkohol konsumiert wurde, ist wichtig.
Eine Erleichterung für Angehörige ist sicherlich das Glukagon-Nasenspray, das seit 2020 als Alternative zur Glukagon-Spritze erhältlich ist.
Ein Beitrag von Dr. Veronika Hollenrieder, Fachärztin für Innere Medizin und Diabetologin (DDG), Unterhaching